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Mathias Heckmann auf dem Armenfriedhof


HM

Gedenken bewahren: Vor 60 Jahren
Ein Jahrmarkter auf dem Temeswarer Armenfriedhof
Kommunistische Verbrechen, die nicht vergessen werden dürfen

Es war der 6. Dezember 1956 in Temeswar. Im unmittelbar benachbarten Ungarn hatte die Sowjetarmee nach der 2. Invasion vom 4. November den Krieg gegen den Volksaufstand gewonnen. Die Wiederherstellung der alten Ordnung war mit aller Brutalität voll im Gange. Die Tage der Ungarn-Freiheit waren vorbei. Das wussten viele im Westbanat, zumal aus Temeswar sowjetische Panzer nach Ungarn gerollt und andere Autokolonnen in die sowjetischen Kasernen in der Stadt zurückgekehrt waren.

Da glaubte der Vorarbeiter Mathias Heckmann aus Jahrmarkt (Spitznamen Singert), dass er in der 10-Uhr-Essenspause vor den etwa zehn Leuten der Tischlerei frei zu den Ereignissen in Ungarn seine Meinung sagen könne. Eigentlich hätte er - Jahrgang 1914 - wissen müssen, was ihn unter Umständen erwartet, denn er hatte schon eine Diktatur und den Weltkrieg samt Gefangenschaft durchgemacht. Vielleicht glaubte er nicht, dass seine Meinung als Tischler mit sieben Schulklassen staatsgefährlich interpretiert werden kann und er rechnete wohl auch nicht mit Spitzel in seiner Gruppe.

Bei der Äußerung soll es laut Überlieferung – es war noch ein jüngerer Jahrmarkter Tischler in der Werkstatt Zeuge – darum gegangen sein, dass nur ein ähnlicher Volksaufstand wie der in Ungarn in Rumänien Änderungen bringen könnte. Das wäre aber unwahrscheinlich, denn Aufständische hätten auch hier keine Waffen. Sollten sie „mit Erbsen schießen“? Das war um 10 Uhr. Um 12 wurde Matz, wie ihn alle nannten und er später die Strafakte unterzeichnete, ins Büro gerufen. Ab dann sah ihn kein freier Mensch mehr, auch nicht tot, bis auf einen Häftling, der einige Zeit später im Temeswarer Popa-Sapca-Untersuchungsgefängnis Fenster reparieren musste wegen der Kälte. Er erkannte Mathias nicht. Der lag mit Ketten an Händen und Füssen gefesselt auf dem Boden wie im Mittelalter. Aber Heckmann hatte den Landsmann und Tischler-Berufskollegen erkannt und seinen Namen gerufen.

Laut damaligem rumänischem Strafgesetzbuch konnte der Chefankläger aufgrund eines aufgebauschten gefährlichen Feindbildes, das die Untersuchungsbehörde erarbeitet hatte, und erzwungener Geständnisse für das „Verbrechen“ der „öffentlichen Aufwiegelung“ („agitatie publica“) eine exemplarisch harte Strafe von den Richtern des Militärtribunals fordern. Mit ins Gewicht gefallen sein dürften für das harte Urteil, dass kurze Zeit vorher in Bukarest das Politbüro der RAP einen Maßnahmenplan erarbeitet hatte, um einen ähnlichen Volksaufstand in Rumänien zu verhindern (Sitzung vom 24. Oktober 1956) sowie die Tatsache, dass der Angeklagte einen Teil seines Kriegsdienstes beim deutschen Militär (Waffen-SS) abgeleistet hatte. Eine Besonderheit im Fall Heckmann war, dass der „Anstifter“ weder von der Polizei (Miliz), noch vom Sicherheitsdienst festgenommen wurde, sondern durch den militärischen Geheimdienst der Militäreinheit (U. M.) 03259. Der Haftbefehl trug laut Kartei die Nr. 33/956.

Die Ehefrau Magdalena, die nun allein zwei schulpflichtige Töchter zu versorgen hatte, wurde nur über den Prozess benachrichtigt, und zwar so, dass sie immer zu spät kam und ihren Mann nie mehr lebend sehen konnte. Die wiederholten Anträge zur Erteilung einer Gesprächserlaubnis wurden alle abgelehnt.

Das Urteil des Militärgerichts Nr. 136/57 lautete auf sechs Jahre schwere „umerziehende“ Kerkerstrafe (6 ani corectionala). Der Antritt der Strafe ist mit 6. Dezember 1956 angegeben (Rückseite der Akte), ein Widerspruch zur Eintragung auf Seite 1, wo es fälschlich heißt Untersuchungshaft seit 11. Dezember. Als vorgesehener Entlassungstermin ist der 4. Dezember 1962 eingetragen. Worauf sich die identischen Eintragungen darunter mit Bleistift und dann mit Tinte darüber beziehen, ist nicht klar. Vermutlich handelt es sich bei dem Datum der „R(ezolutie)“ vom 27. April 1957 um die Ablehnung eines Widerspruchs bzw. um das definitive, rechtskräftige Urteil: sechs volle Jahre Gefängnis.

Dieses Urteil sagt für uns heute nicht viel aus. Die vollständige Gerichtsakte mit der Anklage lag uns nicht vor. Erst die Liste der Gefängnisse, durch die der politische Häftling musste, lässt auf die lebensbedrohliche Lage schließen: Temeswar, Gherla (ab 28. Januar 1957), Jilava (ab 23. Februar), Temeswar (6. März), Vacaresti (9. Mai), nochmal Hochsicherheitsgefängnis Jilava (11. Juli) und zuletzt wieder Temeswar (19. Juli) – die berüchtigsten Foltergefängnisse im damaligen Rumänien. Die Daten sind nicht genau, teils widersprüchlich in der Personalakte und stimmen mit den Überführungsbefehlen nicht ganz überein. Offen bleibt, weshalb der letzte „Ordin de transfer“ nach Temeswar erfolgte. War mit dem Tod zu rechnen?

Das Schlimme waren nicht das Strafgesetz und das Urteil, sondern die unkontrollierte, allmächtige und erbarmungslose Macht der Vollzugsbehörden als willige Vollstrecker der Partei- und Staatspolitik, die alltäglichen Erniedrigungen der politischen Häftlinge, die Folter brutalster Art, Hunger, Kälte, harte Arbeit, das Fehlen elementarster hygienischer Bedingungen sowie medizinischer Betreuung und die übertragbaren Krankheiten.

Das anonyme Grab

Es war der 5. Dezember 1957 in Temeswar. Alle diese menschenverachtenden Missstände führten dazu, dass ein gesunder, durch Krieg und Kriegsgefangenschaft gehärteter Mann in den besten Jahren (42 bei der Verhaftung) nach nur einem Jahr Gefängnis am 5. Dezember 1957, genau vor 60 Jahren, im Temeswarer Spital für infektiöse Krankheiten (Victor-Babes-Spital) gestorben ist. Über den Tod wurde die Ehefrau erst benachrichtigt, als ihr Mann schon auf dem Temeswarer Armenfriedhof anonym eingegraben worden war. Die Todesursache - eine Antwort auf unsere Anfrage in diesem Jahr im Spital steht aus - erfuhr die Familie nie.

Auf Umwegen fand die Ehefrau heraus, dass ihr Mann angeblich auf dem Armenfriedhof an der Lippaer Straße beerdigt wurde. Dort fand sie tatsächlich einen frischen Grabhügel und der Friedhofswärter bestätigte, dass es um ihren Mann ging. Längere Zeit hatte Magdalena Heckmann nur ein Holzkreuz für ihren Mann aufgestellt, später dann einen bescheidenen Granitstein. Als das staatliche Unternehmen für Stromversorgung auf dem Armenfriedhof einen großen Hochspannungsleitungsmast aufstellte, kam der südöstliche Fuß des Metallmastes genau über dem Grab von Matz Heckmann zu stehen. Der Grabstein wurde neben das Grab gelegt, ohne die Familie zu benachrichtigen. Daraufhin lies die Witwe den Stein mit einem Pferdefuhrwerk auf den Jahrmarkter oberen Friedhof bringen und dort aufstellen. Bei der Aussiedlung nach Deutschland wurde er verkauft. Ehefrau Magdalena und die ältere Tochter Margret (verh. Kassnel) sind inzwischen in Deutschland verstorben, die jüngere Tochter (75) lebt in Reutlingen. Das Verbrechen ist fast vergessen. Nur in dem umfangreichen Dokumentationsband (880 Seiten, Bukarest 2013) von Romulus Rusan „Cartea mortilor – din inchisori, lagare, deportari“ ist auf Seite 212 Hecman Matei aus Giarmata (Timis) angeführt mit Daten, die aus der Personalakte stammen.

Für die Geschichte der Gemeinschaft der Jahrmarkter soll dieses Schicksal jedoch festgehalten werden, zumal es für die Gemeinde kein Unrechts-Einzelfall war. Da war noch der politische Schauprozess (1951) gegen den katholischen Dechant des Lippaer Sprengels Martin Kilzer, der aus Jahrmarkt stammte. Ein anderer Mann, der aus der Kriegsgefangenschaft illegal über die Grenze in seinen Heimatort gelangen wollte, wurde erwischt und ebenfalls als politischer Häftling in Jilava und Fogarasch zu Tode gefoltert ( gest. am 25. Januar 1951 in Fogarasch, dort beerdigt; geb. am 12. März 1912). Zwei weitere Männer aus dem Dorf waren im Gefolge des Heckmann-Prozesses zu fünf bzw, zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Diese beispielsweise und andere überlebten bzw. hatten das Glück, begnadigt zu werden. Ein anderer Heimkehrer wurde an der rumänischen Grenze angeschossen und lebensgefährlich verletzt. Er durfte nach dem Tod nicht nach Jahrmarkt gebracht werden, sondern liegt auch heute noch in Jebel auf einem Friedhof. Ein ungeklärter Fall ist der des Heimkehrers Josef Seibert (Jahrgang 1919), der in erster Instanz zu drei Jahren Kerker verurteilt wurde wegen illegaler Grenzüberschreitung. Interniert war in den Arbeitszwangslagern Poarta Alba, Galanu und Peninsula. Ohne Prozess oder Urteil wurde er danach aufgrund einer Verordnung („Ordin“) um drei Jahre länger in Haft gehalten. Ein weiterer Jahrmarkter – durch Einheirat, Jahrgang 1926 – wurde im Oktober 1952 wegen angeblicher Spionage verhaftet und zu drei Jahren schwerer Kerkerstrafe („t g“, also temnita grea) verurteilt. Er musste durch die Gefängnisse Jilava, Aiud und Onesti und wurde bis zur Ausreise nach Deutschland von der Securitate observiert und belästigt.
Schlimmes Unrecht darf nicht vergessen werden, die Gemeinschaft sollte dafür sorgen, dass das Gedenken bewahrt wird.

Luzian Geier